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Warum uns die Klimaerwärmung und unsere Kinder (immer noch) egal sind
Wir haben das unglaubliche Glück in einer Region dieser Welt beheimatet zu sein, die nicht mit Tropenstürmen, Hungersnöten und Trinkwasserknappheit, großflächigen Waldbränden sowie dem Überschreiten der sommerlichen 50 Grad-Marke zu kämpfen hat und für die Klimaerwärmung nur eine Schlagzeile aus der Tageszeitung ist.
Anmerkung: Dieser Artikel ist 2018 schon auf blattgrün erschienen. Da ich meinen Fokus hier jedoch seit 2022 auf einen nachhaltigen Familienalltag lege, ist der Beitrag nun in voller Länge auf ecoist zu finden.
All diese Dinge klingen für uns wie aus einem dystopischen Roman zitiert, als wäre all das Lichtjahre entfernt, und doch sollten wir uns schön langsam damit befassen, denn das sogenannte Hothouse Earth Paper zeigt uns mittlerweile ganz eindrucksvoll in welche Richtung sich dieser Planet die nächsten Jahrzehnte entwickeln wird. Spoiler: In eine, die wir unbedingt vermeiden sollten. Und das nicht nur, weil das Bier rar wird.
Gleich vorweg: Der Klimawandel ist keine dystopische Fiktion, den gibt’s schon.
Versuchen wir aber trotzdem, so ganz fiktiv und unverbindlich, herauszufinden was in Österreich passieren würde, wenn sich die Erde laut Hothouse Earth Paper um besagte vier Grad erwärmt. Ohne Bilder. Ohne großartiges Design. So gut und komprimiert es geht, obwohl das Thema Bücher füllen könnte. Ich hoffe, ihr verzeiht mir heute also den fehlenden Sinn für optische Gestaltung und die Länge des Artikels.
Verkehrseinschränkungen
Mehr Hitze bedeutet auch viel mehr Stress und Zeitverlust auf dem Weg in die Arbeit, gesetzt dem Fall, dass man überhaupt dort ankommt. Während sich im Sommer vermutlich zukünftig Bahnschienen verziehen, können Hitzebrüche auf Fahrbahnen Probleme bereiten. Und als wäre die hitzelastige Seite nicht schon genug, kommt da auch noch Unwetter mit Starkregen, da das Wetter natürlich auch wieder ausgleichen muss. Heißt für umweltbewusstere Menschen auf Fahrrad oder mit der Fußmaschine dann leider kurzum: Überflutete U-Bahn-Schächte, Fahrradwege und Fußgängertunnel.
Sinkende Wirtschaftsleistung
Und wenn wir schon beim Arbeiten sind: Steigt die Temperatur auch nur knapp über 2°C würde die weltweite Wirtschaftsleistung um 0,2-2 Prozent zurückgehen. Das mag jetzt nicht nach viel klingen, entspräche aber einem Verlust von 147 Milliarden bis zu 1,45 Billionen Dollar. Warum? Da es in urbanen Räumen mehr Asphalt und Beton als Grünflächen gibt, wird es deutlich hitziger als auf dem Land. Das nennt man dann “Hitze-Insel-Effekt” und der sorgt dafür, dass sich die Produktivität der Arbeitskräfte minimiert.
Hohes Pollenaufkommen
Aufgepasst, liebe Pollenallergiker! Ihr habt es sicher schon mitbekommen, aber die Bedingungen für das Pflanzenwachstum haben sich gerade bei den Pflanzen optimiert, die euch jedes Jahr aufs Neue in den Wahnsinn treiben. Gräser wachsen meist an Hauptverkehrsstraßen und werden regelrecht mit dem Treibhausgas des Verkehrs gedüngt. Die Saison für Pollen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten also nicht nur dementsprechend verlängert, sondern auch intensiviert. Die Wissenschaft geht davon aus, dass Pollen euch zukünftig sogar gangjährig Beschwerden bereiten werden.
Großes Artensterben
And it’s gone! Als wäre es nicht schon genug, dass der Östliche Nordamerikanische Puma 2011 ausgestorben ist (und mit ihm etwa 150 Arten pro Tag), geht das Umweltbundesamt inzwischen davon aus, dass die Vielfalt heimischer Tier- und Pflanzenarten bis 2080 um 30 Prozent zurückgeht. Bedroht sind derzeit übrigens, als kleiner Auszug, weltweit Makis, Leoparden, Tiger, Löwen, Gorillas, Orang-Utans, Elefanten und Seelöwen. Von der Überfischung und den Problemen, die daraus resultieren, will ich erst gar nicht anfangen. Das mag sich für viele wieder ganz weit weg abspielen, aber spätestens dann, wenn Obstbäume blühen, aber z.B. die Biene fehlt, hat der Obstbauer ein Problem. Und mit ihm auch wir, denn ohne Bienen keine Nahrung für uns. Btw: Steigende Temperaturen begünstigen auch die Ausbreitung von Insekten, aber was hat das jetzt eigentlich mit Bienen zu tun? Heuer haben viele Bienen den Winter nicht überlebt. Nicht aber die Kälte, sondern die Wärme war der Übeltäter. Genauer gesagt die Varroamilbe, da sich diese in unserem milden Klima wunderbar ausbreiten kann.
Ausbreitung von neuen Krankheiten
Ein wärmeres Klima fördert aber auch die Ausbreitung von Krankheiten durch andere Schädlinge. Zecken, die Hirnhautentzündungen übertragen können, lieben Wärme. Aber nicht nur Zecken, sondern auch die Rückkehr der Malaria nach Europa oder das, von der Tigermücken übertragene, Dengue-Fieber können uns zukünftig nicht nur das Leben schwer machen, sondern es auch beenden.
Das Bier geht aus
Als wären viele exotische und heimische Insekten nicht schon genug, geht uns vielleicht auch bald das Bier aus. Die gute Nachricht bleibt zwar, dass es in Österreich zumindest künftig mehr Regionen geben gibt, die sich für Weinbau eignen, aber hey, die Hopfenernte wird definitiv weniger reichhaltig ausfallen. Außerdem: Weizen, Mais und Reis machen heute knapp über 40 Prozent der gesamten menschlichen Ernährung aus. Steigt die Temperatur nun um ein einziges Grad, gibt es einen weltweiten Ernteverlust von etwa 10-15 Prozent. Nimmt man nun die möglichen 4 Grad Erwärmung, haben wir definitiv ein Problem. Wer auf Gluten verzichtet und sich jetzt ins Fäustchen lacht, sollte wissen, dass zukünftig mehr Pestizide notwendig werden, um die Ernährungssicherheit zu gewährleisten. Das gilt dann aber nicht mehr nur für Getreide, sondern auch für Pseudogetreide, Obst, Gemüse und vieles mehr.
Ackerfläche schwindet drastisch
Neben Gentechnik und Pestizid-Overload müssen auch die Ackerflächen zukünftig wetterbedingt einiges aushalten. Während uns bis 2035 “nur” vier der schönsten Tage des Jahres verloren gehen, wird es gerade in den Tropen und Subtropen recht unschön. Tangiert euch nicht? Wir denken leider nicht über den Tellerrand und somit auch nicht daran, dass in den tropischen Gebieten unglaublich viel unserer täglichen Speisekarte angepflanzt und produziert wird. Kakaobohnen zum Beispiel. Kaffee, Bananen oder auch Avocados. Bis 2050 soll die Hälfte der Anbauflächen für Kaffee- und Kakaobohnen verschwunden sein. Wer sich jetzt freut, weil er nur regionale Produkte mit nach Hause nimmt: Nicht jede unserer heimischen Obst- und Gemüsesorten verträgt brodelnde Hitze sowie klirrende Kälte, feuchtere Sommer und all die weiteren wechselhaften Witterungen, mit denen uns dieser Planet zukünftig beschenken wird. Auch hier wird fleißig nach robusteren Alternativen gesucht, da es zukünftig sonst zu starken Ernteausfällen kommt.
Häuser und Straßen versinken im Boden
Das zukünftige Wetter mag zwar hierzulande in Mitteleuropa für Menschen ihre Vorzüge haben, da es bis 2100 beinahe ein Drittel mehr mildere Tage geben wird als heute, aber das heißt leider auch viel weniger Schnee. Weniger Schnee bedeutet gerade in der Alpenregion Österreich weitaus weniger Tourismus, da Schnee und Frost einfach schmelzen werden. Einmal ganz abgesehen davon, dass die Alpenregion in Jahrzehnten eine Region ohne Gletscher sein wird. In Russland und Kanada sieht die Sache gleich noch eine Spur dramatischer aus, denn mit den milden Temperaturen kommt auch das Permafrost-Schmelzen und die Tatsache, dass sich die festen Böden in Matsch verwandeln. Das führt dazu, dass Schienen, Straßen und Häuser versinken.
Wasserknappheit
Während Russland und Kanada in Schmelzwasser untergehen, gibt es bei uns stattdessen entweder Hochwasser en masse oder sehr niedrige Flusspegel. Dieses Jahr konnten viele Schiffe ihre Längen nicht einmal mehr in der Donau ziehen, weil der Wasserstand einfach zu niedrig war. Hier geht es aber nicht nur um Ausflugsboote, sondern um die tägliche Nahrung und Gebrauchsgüter, die über den Wasserweg transportiert werden. Auch Wasserkraftwerken wird es zukünftig deutlich schwerer gemacht. Hitze bedeutet Verdunstung. In diesem Fall heißt das, bei einer Erwärmung von beispielsweise 3°C, dass auf einem Quadratkilometer 35 000 Kubikmeter Wasser nicht mehr zur Verfügung stehen. Klingt für euch nach viel Verdunstung? Ist es auch, denn es entspricht dem Wasserdefizit, das wir während der Dürreperiode im Sommer 2003 in weiten Teilen Europas hatten.
Überflutungen nehmen zu
Ihr glaubt die Zerstörung der Korallenriffe und das Untergehen eurer Urlaubsinseln wie die Malediven werden euer größtes Problem? 22 der 50 größten Städte der Welt sind Küstenstädte. Rund 10 Prozent der Weltbevölkerung leben in dieser Küstennähe auf Flächen, die sich weniger als 10 Meter über dem heutigen Meeresspiegel befinden, wobei 10 Meter ja eigentlich noch recht viel sind. Bis 2100 rechnet man ja “nur” mit einem Anstieg des Meeresspiegels von 50-100cm. Also reflektieren wir weiter: In Bangladesch liegen 17 Prozent der Landesfläche nicht einmal höher als einen Meter über dem Meeresspiegel. Auf genau dieser Fläche leben 35 Millionen Menschen. Wohin also mit den 35 Millionen Heimatlosen, deren Habitat bald unter Wasser steht? Auch wenn das Klima in Mitteleuropa aushaltbar bleibt, bringt es viele Regionen der Welt in noch größere Schwierigkeiten. Wer jetzt immer noch denkt, wie schön es doch ist und sich darüber freut, dass wir hier geboren sind, sollte ein wenig nachhaltiger denken. Was würde wohl passieren, wenn es in vielen Ländern zu solchen Extremen wie Hitze und Dürre kommt? Oder einem Zuviel an Wasser? Genau! Es geht dort hin, wo es lebbar ist. Zum Beispiel in das milde Mitteleuropa. Wer jetzt noch FPÖ und AfD wählt, Angst vor Neuem hat und dem Klimawandel gelassen gegenüber steht oder ihn, Universum behüte, leugnet, puh, der wird die nächsten 10, 20 Jahre nicht ganz so viel Freude haben.
kipping points incoming
Ganz besonders gemein ist die Tatsache, dass wir die eh schon beunruhigende Klimaerwärmung in noch ungeahnte(re) Höhen schnellen lassen können, ohne etwas dafür tun zu müssen, weil’s dann irgendwann von selbst passiert. Dieser Planet hat nämlich sogenannte kipping points, die sich in den Permafrostböden (siehe Kanada und Russland) befinden. Tauen diese auf, werden riesige Mengen Methan und CO2, also Treibhausgase, freigesetzt, die dort gebunden waren und dann motiviert die Luft aufheizen. Methan ist übrigens besonders wirksam und davon befinden sich etwa 400 Milliarden Tonnen im genannten Permafrost. Zum Vergleich: Das Rind, der Klimasünder unter den Tieren, produziert pro Tag durch Pupsen gerade einmal bis zu 500 Liter davon.
Der Klimawandel sorgt für mehr Flüchtlinge als alle Kriege zusammen
Ich muss es einfach nochmal wiederholen, weil sich kaum jemand über die Tragweite eines globalen Problems wie der Klimaerwärmung im Klaren ist: Dass Menschen aufgrund von Umweltveränderungen ihre Heimat verlassen müssen, daran haben wir uns mehr oder minder leider schon gewöhnt. Im Zuge des Klimawandels wird die Anzahl der Flüchtenden allerdings eine ganz neue Dimension erreichen.
Die Internationale Organisation für Migration (IOM) schätzt die Zahl der Klimaflüchtlinge für das Jahr 2050 auf etwa 200 Millionen Menschen. Manche Forscher gehen sogar von mehr als 400 Millionen Menschen aus. Vor allem Entwicklungsländer sind von den Folgen des Klimawandels betroffen (siehe mein Indien-Küstenbeispiel weiter oben), was dazu führt, dass die Armutsmigration in ungeahnte Höhen schnellen wird. Für all diese Menschen braucht es übrigens Wasser, Nahrung und Unterkunft. Krieg um lebensnotwendige Ressourcen ist, zumindest gefühlt, vorprogrammiert.
Und all das in nicht einmal mehr 100 Jahren. Vieles davon passiert höchstwahrscheinlich sogar in den nächsten 30-40 Jahren, weil, nun ja, ganz einfach, wir unser Leben nicht ändern und unser Ändern nicht leben.
“Da hat der Mensch keinen Einfluss drauf, so etwas gab es immer schon!”
Bull.Shit.!. Wir sind blind für all die Folgen, an denen wir selbst schuld sind. Wobei wir all das theoretisch natürlich wissen. Gespürt haben wir es hier aber noch nicht, eingestanden leider auch nicht und das macht die Sache mit der Ethik extrem schwierig. Nicht zuletzt, weil wir dafür auch ein wenig persönlichen Luxus und Bequemlichkeit einbüßen müssten, die aber gleichzeitig auch auf Ohnmacht trifft.
Als Beispiel: Ich höre so oft “Warum aber soll ich jetzt auf wegen des Klimas Fleisch verzichten, wenn es eh nur die wenigsten tun?” oder (zusammengefasst) “Wie kann ich da bitte als Einzelperson verhindern, dass sich das Klima erwärmt, wenn doch gleichzeitig der weltweite Fleischkonsum steigt anstatt zu fallen und dann auch noch zusätzlich die Industrie wieder vermehrt Treibhausgase in die Luft bläst und Waldbestände, die Kohlenstoff rückbinden, im Rekordtempo rodet, während ich für den Wandel extra auf das Fahrrad umgestiegen bin? Da fahr ich lieber wieder mit dem Auto, weil dem Rest der Menschheit eh schon alles wurscht ist!”

Ethisch zu handeln und das Richtige zu tun, muss natürlich nicht zwingend skalierbar sein. Ethisch handeln tut man ja eigentlich, weil man weiß, dass es das Richtige ist. Egal, ob man es alleine tut oder ob es zur Massenbewegung wird. Aber ja, Fakt ist, dass wir sogar schon zu langsam und unreflektiert für die weniger kleinen Ziele von 2 Grad waren und es uns immer noch schei*egal ist was mit dieser Welt passiert. Das Pariser Klimaabkommen haben wir ja auch bravourös in den Sand gesetzt, da sich von den 196 Staaten gerade einmal 7 wirklich klimakonform verhalten. Das sind übrigens Bhutan, Costa Rica, Äthiopien, Marokko, Gambia, die Philippinen und Indien.
Wie kann es sein, dass es uns mit den Mitteln die wir haben so schwer fällt eine Gegenwart zu schaffen, eine Zukunft zu wollen, die auch für weitere Generationen noch lebbar und wünschenswert ist?
In solchen Momenten habe ich Zukunftsängste und schäme mich, da ich mich bei meinem Sohn in den kommenden Jahrzehnten für all die schlimmen Dinge, die er aufgrund unserer egoistischen Bequemlichkeit durchleben muss, entschuldigen muss. Entschuldigen dafür, dass wir es unseren Kindern zuliebe nicht einmal geschafft haben ein paar fleischfreie Tage pro Woche einzulegen. Dafür, dass wir dem Wirtschaftswachstum den Vorrang gegeben haben und dafür Unmengen Wälder roden mussten, obwohl es eh schon genügend Konsumgüter für gefühlt drei Leben gibt. Dafür, dass wir nachhaltige Technologien aus Geldgier nicht genutzt haben, obwohl sie schon da waren. Dafür, dass uns diese, unsere, Kinder, sad but true, halt einfach egal waren.
Quellenangabe
Schönere Tage dank Erderwärmung? ZEIT ONLINE
Klimawandel macht Schädlinge hungriger Der Standard
Gewinner und Verlierer des Klimawandels NABU
Zukunft im Schwitzkasten ZEIT ONLINE
Die Folgen des Klimawandels Ökosystem Erde